Mikrobiom und Depression

Wie hängt der Darm mit unserer Gefühlswelt zusammen? Welchen Einfluss hat das Mikrobiom auf psychische Erkrankungen – und welche Rolle können Probiotika spielen?

Ich  interviewte dazu Prof. Dr. Eva Reininghaus von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der Medizinischen Universität Graz, die mit ihrer Forschungsarbeit wichtige neue Erkenntnisse über den Einsatz von Probiotika in der Psychiatrie gewinnt.

Prof. Dr. Eva Reininghaus, MBA, ist stellvertretende Klinikvorständin und Leiterin der Forschungseinheit für Neurobiologische Grundlagen und anthropometrische Besonderheiten der bipolar affektiven Erkrankungen an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Graz. In ihrer Forschungsarbeit befasst sie sich intensiv mit der Auswirkung von Mikrobiom und Probiotika au psychische Krankheitsbilder.

Mag. Anita Frauwallner: Sie beschäftigen sich intensiv mit unterschiedlichen Erkrankungen unserer Psyche, insbesondere mit bipolaren Störungen und Depressionen, und das nicht nur in Ihrem Klinikalltag als Ärztin an der Medizinischen Universität Graz, sondern vor allem auch im Rahmen Ihrer Forschungstätig. Häufig hört man von Freunden oder der Familie die Aussage „Ich bin heute so depressiv“ – aber was versteht man eigentlich genau unter einer Depression?

Prof. Eva Reininghaus: Jeder Mensch darf Stimmungsschwankungen haben, es ist völlig normal, einen Tag besser oder schlechter drauf zu sein – stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Sie immer die gleiche Laune hätten. Zu den Hauptsymptomen einer echten Depression gehört vorranging die gedrückte Stimmungslage. Veränderungen der Stimmungslage im Verlauf messen wir in der Praxis anhand sogenannter „Mood Charts“, also mithilfe von Stimmungstagebüchern. Weitere Hauptsymptome der Depression sind ebenso, wenn man die Freude bzw. das Interesse an Hobbys und anderen Dingen, die einem sonst immer Spaß gemacht haben (Anhedonie), verliert oder energie- und antriebslos ist. Wenn mindestens zwei dieser Hauptsymptome für mindestens 14 Tage vorherrschend auftreten, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Depression handeln könnte. Es gibt aber noch zahlreiche Nebensymptome, von denen mindestens zwei vorliegen müssen, um eine Depression tatsächlich diagnostizieren zu können. Eines dieser Symptome, welches die Lebensqualität ganz massiv beeinträchtigen kann, ist die Konzentrationsstörung: Die PatientInnen haben das Gefühl, einem Gespräch nicht mehr folgen zu können oder eine Zeitung nicht mehr lesen zu können. Eine sich regenerierende Konzentrationsfähigkeit nach einer Depression ist auch ein ganz wesentlicher Faktor, um einen raschen Wiedereinstieg in die Arbeitswelt möglich zu machen.

Gefühle wirken sich nicht nur auf den Darm aus, sondern der Darm sich auch auf unsere Gefühle.

Mag. Anita Frauwallner: Zur Depression wurde und wird sehr viel geforscht. Gibt es eindeutige Ursachen, die man benennen kann?

Prof. Eva Reininghaus: Die Ursachen einer Depression sind sehr vielschichtig und wir verstehen viele Mechanismen noch nicht. Man weiß aber, dass die genetische Veranlagung eine Rolle spielt, jedoch gibt es nicht das eine Gen, das dafür ausschlaggebend ist. Traumata oder psychische Belastungen, die man im Laufe des Lebens erfährt, können ebenfalls eine Ursache sein, genauso wie akute und chronische Stressfaktoren. Interessanterweise spielt eine Mangelernährung in der Kindheit ebenfalls eine Rolle.

Aktuell wird Ursachenforschung im Bereich der Genetik und Epigenetik (Anmerkung: untersucht, welche Faktoren die Genaktivität und damit die Zellentwicklung beeinflussen und festlegen, d. h. welche „Umwelt-einflüsse“ regulieren, wann und in welchem Ausmaß welche Gene ein- und ausgeschaltet werden) und im Bereich des oxidativen Stresses betrieben. Ganz interessant und wichtig ist die chronische Entzündung: Man geht davon aus, dass Phasen der Depression und auch der manisch-depressiven Erkrankung von einer „low grade inflammation“, einer stillen Entzündung, aufrechterhalten und immer wieder ausgelöst werden können, sobald diese Entzündungen im Körper wieder aktiviert werden.

Ein ganz interessanter Punkt ist der Einfluss von Adipositas auf psychische Erkrankungen. In der Psychiatrie treten sehr häufig metabolische Begleiterkrankungen auf, viele PatientInnen sind übergewichtig oder adipös, haben Diabetes oder leiden an Herz-Kreislauf-Problemen, und das liegt nicht nur an der Medikation. Es gibt Studien, die zeigen, dass junge Personen, die zu einer Risikopopulation für psychische Erkrankungen zählen, vermehrt übergewichtig sind und damit wahrscheinlich bereits die „low grade inflammation“ haben, denn diese geht auch mit Adipositas einher. Deswegen vermutet man, dass sich die Entzündungsgeschehen von Übergewicht und psychischer Erkrankung gegenseitig verstärken: Man weiß beispielsweise, dass Personen mit manisch-depressiver Erkrankung, die zusätzlich übergewichtig sind, einen deutlich schlechteren Verlauf der psychischen Krankheit haben.

Mag. Anita Frauwallner: Diese stillen Entzündungen sind mir aus zahlreichen Forschungsarbeiten zu unterschiedlichen Krankheiten bekannt, die vom Darm ausgehen und sowohl dieses Organ selbst als auch den gesamten Organismus belasten. Durch diese Entzündungen im Darm entsteht ein Leaky Gut in der Darmschleimhaut, wodurch Schadstoffe und Toxine ungefiltert in den Körper vordringen können, sogar bis ins Gehirn. Welche Zusammenhänge zwischen Darm und Gehirn bestehen aus Ihrer Sicht, und was hat der Darm mit der Depression zu tun?

Prof. Eva Reininghaus: Weit verbreitet ist ja die Meinung, dass das Gehirn denkt und der Darm verdaut. Mittlerweile wissen wir aber, dass auch der Darm „mitdenkt“: Dieses Organ enthält mehrere Millionen Nervenzellen, und dieses sogenannte enterische Nervensystem (ENS) im Darm bezeichnen wir auch als „Bauchhirn“. Die Aufgaben des ENS sind ganz vielfältig: Analyse der Nährstoffzusammensetzung, Koordination von Aufnahme und Ausscheidung unterschiedlicher Stoffe und Steuerung verschiedener Schaltkreise zum Transport der Nahrung. Außerdem kontrolliert das Bauchhirn das Gleichgewicht von hemmenden und erregenden Nervenbotenstoffen, z. B. von Serotonin oder Noradrenalin. Serotonin, unser „Glückshormon“, wird übrigens zu bis zu 95% im Darm gebildet. Kopfhirn und Bauchhirn stehen also auf viele unterschiedliche Arten in engem Kontakt, und zwar bidirektional: Diese Kommunikation in beide Richtungen funktioniert u. a. über Nerven, Blut und Hormone.

Wir wissen auch, dass Stress den Darm bzw. die Darmschleimhaut schädigt und diese durchlässig macht (Leaky Gut). Durch diese Schäden an der Darmschleimhaut wird auch das Mikrobiom beeinträchtigt, das zeigt sich bei PatientInnen mit psychischen Erkrankungen dadurch, dass sie vermutlich eine verringerte Vielfalt an Darmbakterien aufweisen – die Produktion u. a. von Neurotransmittern wird verändert. Die Veränderung des Mikrobioms konnten wir in einer eigenen Studie an 32 Patienten mit bipolarer Störung nachweisen: Verschiedene Bakterienstämme waren im Vergleich zu psychisch gesunden Personen weniger häufig vorhanden, und je länger die Krankheit schon angedauert hatte, desto geringer war auch die Vielfalt des Mikrobioms.

Ein für mich ganz interessanter Punkt ist der Einfluss der Darmflora auf die Mikroglia-Zellen: Diese speziellen Zellen sind sozusagen unsere „Müllabfuhr“ im Gehirn und werden durch das Mikrobiom sowohl in der Reifung als auch in der Aktivierung gesteuert. Zusammengefasst kann man auf jeden Fall sagen, dass das Mikrobiom unsere Stimmung beeinflussen kann.

Mag. Anita Frauwallner: In der Vergangenheit gab es nur wenige Studien, welche die Auswirkungen von Probiotika bei depressiven Patienten untersuchten. Sie beginnen nun, diese Lücke mit Ihrern Forschungen zu schließen, und erforschen aktuell in klinischen Arbeiten die Auswirkungen von Probiotika mit speziell entzündungshemmenden Stämmen bei Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Krankheitsbildern. Zu welchen Ergebnissen sind Sie bereits gekommen?

Prof. Eva Reininghaus: Ich habe zuvor erwähnt, dass die mangelnde Konzentrationsfähigkeit und kognitive Leistungsfähigkeit nach einer psychiatrischen Erkrankung für viele PatientInnen am Weg zurück in ein normales Leben ein großes Hindernis darstellen. Wir haben deshalb eine Pilotstudie durchgeführt, bei der wir 25 PatientInnen mit einer bipolaren Erkrankung über drei Monate ein Probiotikum mit entzündungshemmenden Bakterienstämmen verabreicht haben. Die PatientInnen befanden sich alle in der sogenannten euthymen Phase (also in einem neutralen Stimmungszustand). Zu Beginn, nach einem und nach drei Monaten der Probiotika-Einnahme haben wir unterschiedliche Gedächtnistests durchgeführt, und bei der Auswertung dieser hat sich gezeigt, dass sich die Leistung des Gehirns signifikant gesteigert hat – in einem Ausmaß, von dem ich selbst wirklich positiv überrascht war. Wir haben mit den Tests die Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und Problemlösungen, die Verarbeitungsschnelligkeit und die kognitive Flexibilität gemessen, und unsere PatientInnen haben in den meisten Bereichen deutliche Verbesserungen gezeigt. Als positiver Nebeneffekt hat sich bei vielen ProbandInnen außerdem die Verdauung verbessert. Natürlich muss man sich das in weiteren Studien genauer anschauen, da die Studie ja nicht verblindet war, d. h. die Leute wussten, welches Präparat sie bekamen, und es gab auch keine Placebogruppe.

Nach dem Erfolg unserer Pilotstudie haben wir zwei weitere Projekte gestartet In der ersten Studie sehen wir uns die Auswirkung von Probiotika auf Depressionen an. In der zweiten – placebokontrollierten randomisierten – Studie evaluieren wir den Einfluss von Probiotika auf Körper und Geist bei stationären depressiven PatientInnen, um wirklich genau sagen zu können, was jetzt der Effekt der Probiotika ist und was mögliche andere Einflussmechanismen auf Veränderungen der Denkleistung sind.

Die ersten Ergebnisse stimmen uns zuversichtlich, dass Probiotika einen positiven Einfluss auf psychische Erkrankungen haben können und möglicherweise auch die Gedächtnisleistung verbessern können. Das alles gilt es nun in groß angelegten Untersuchungen zweifelsfrei zu belegen.

Mag. Anita Frauwallner: Herzlichen Dank für das Gespräch, wir freuen schon jetzt auf viele weitere spannende Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit!


Depression

Depressionen zählen zu den häufigsten und gleichzeitig zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen, und zwar hinsichtlich ihrer Bedeutung für Betroffene und die Gesellschaft. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation gilt Depression nach Herz-Kreislauf-Problemen als jene Krankheit, welche die meisten Leiden verursacht.

 Innerhalb eines Jahres treten ein bis zwei neue Erkrankungsfälle pro 100 Personen auf. Im Lauf des Lebens erkranken 16-20% an einer Form der Depression.

Wenn mehrere Haupt- und Nebensymptome über einen Zeitraum von zumindest zwei Wochen auftreten, kann eine Depression diagnostiziert werden, wobei der Schweregrad (leicht, mittelgradig, schwer) davon abhängt, wie viele der folgenden Symptome festgestellt werden:

Hauptsymptome (zumindest zwei):

  • Gedrückte, depressive Stimmung
  • Interessenverlust, Freudlosigkeit (Anhedonie)
  • Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit

Zusatzsymptome (zumindest zwei):

  • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
  • Negative und pessimistische Zukunftsgedanken
  • Schlafstörungen
  • Verminderter Appetit
  • Selbstschädigung

Depressionen sind heute sehr gut behandelbar und auch heilbar. Es können jedoch Restsymptome bleiben, z. B. Magen-Darm-Probleme, Müdigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten.

Neben der Behandlung der akuten depressiven Episode ist es mindestens genauso wichtig, zu verhindern, dass die Depression wiederkommt – das Risiko eines Wiederauftretens liegt in den ersten zwei Jahren bei 50%.

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