Das Mikrobiom des Eiszeitmenschen

Was können wir aus dem Mikrobiom des „Ötzi“ lernen und welche Rückschlüsse auf unsere Herkunft lässt es zu? Mag. Anita Frauwallner interviewt dazu Prof. Dr. Peter Malfertheiner von der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, der als Koryphäe in der Erforschung von Helicobacter pylori gilt und der die älteste Mumie der Welt untersuchen durfte. 

Mag. Anita Frauwallner: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit dem menschlichen Mikrobiom und dessen Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Kann man heute darauf rückschließen, wie sich die Keimbesiedelung unseres Körpers entwickelt hat?Prof. Dr. Peter Malfertheiner ist seit 2018 emeritiert, war bis dahin Leiter der Universitätsklinik für Gastroenterologie und Hepatologie an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg.Prof. Dr. Peter Malfertheiner ist seit 2018 emeritiert, war bis dahin Leiter der Universitätsklinik für Gastroenterologie und Hepatologie an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. Zentraler Bestandteil seiner jahrelangen Forschungsarbeit ist der Keim Helicobacter pylori, den er auch im Magen des Eismenschen „Ötzi“ nachweisen konnte.

Prof. Dr. Peter Malfertheiner: Wir sind von einer unvorstellbar großen Menge an Mikroorganismen besiedelt, in und auf uns tummeln sich Pilze, Archaeen und Viren, aber vor allem Bakterien, die über 90% unserer „Mitbewohner“ ausmachen. Man kann heute mit Sicherheit sagen, dass sich das fäkale Mikrobiom parallel mit den Hominiden (Anm.: Menschenaffen) entwickelt hat, was uns sagt, dass Mikroben wie andere Merkmale vererbt werden und uns seit Millionen von Jahren begleiten. Wir haben also ein menschliches Erbgut und ein mikrobielles – welches das menschliche aber um ein Vielfaches übersteigt. Man kann anhand des Erbgutes – des Genoms – unserer Mikroben auch feststellen, woher ein Mensch kommt: Sehr eindrucksvoll wurde das am Beispiel von Helicobacter pylori gezeigt. Es gibt z. B. ein afrikanisches Genom, ein europäisches oder auch ein asiatisches, jedes mit ganz charakteristischen Spuren, die auf die Herkunft der Menschen im Rahmen ihrer Migration schließen lassen.

Unser Mikrobiom entwickelt sich ständig weiter, und zwar auf Basis äußerer Einflüsse. Überernährung, Konservierungsmittel, Antibiotika und andere Medikamente sowie Stress schaden unseren Darmbakterien – mit faserreicher Ernährung, Sport und Probiotika können wir unser Mikrobiom hingegen positiv beeinflussen.

Dass sich unsere Darmbakterien an unsere Lebensbedingungen anpassen, zeigt sich deutlich, wenn man die Zusammensetzung des Mikrobioms z. B. von Jugendlichen in Florenz mit dem von Jugendlichen in Burkina Faso vergleicht: Im italienischen Darm überwiegen Bakterien der Hauptgruppe „Firmicutes“, die vermehrt bei Personen mit Übergewicht vorkommen, in Burkina Faso hingegen überwiegen „Bacteroidetes“, die bei schlanken Menschen in höherer Zahl vorhanden sind. Noch wichtiger ist dabei, dass aufgrund dieses  Darm-Keimprofils die Kinder in Burkina Faso das Maximum an Energie aus ihren faserreichen Grundnahrungsstoffen freisetzen können und dies fürs Überleben brauchen.

Mag. Frauwallner: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Helicobacter pylori, einem Magen-Keim. Was ist dabei der Schwerpunkt Ihrer Forschung?

Prof. Malfertheiner: Die Entdeckung des Helicobacter pylori 1983 hat ein Dogma gebrochen. Man hat immer angenommen, dass der Magen steril und somit unbesiedelt sei, weil die Magensäure Bakterien abtötet. Helicobacter pylori ist aber ein Keim, der sich trotz dieser widrigen Bedingungen vor allem im Magen ansiedeln kann, ja, sogar für sich einen Lebensvorteil daraus bezieht. Ich habe 1985 begonnen, mich mit dem Einfluss dieses Keims insbesondere auf Krankheiten des Magens zu beschäftigen. Mittlerweile wissen wir, dass mit dem Nachweis von Helicobacter pylori immer eine chronisch aktive Entzündung der Magenschleimhaut vorliegt. Was man auch weiß: Personen, die Helicobacter pylori in sich tragen, haben eine ganz andere Zusammensetzung des Mikrobioms als nicht infizierte. Ulcus-Krankheiten, also Geschwüre, vor allem im Magen und im Zwölffingerdarm, können wir mittlerweile mit der Eradikation von Helicobacter pylori beseitigen. Dazu werden Antibiotika und ein Protonenpumpenhemmer eingesetzt – beides Medikamente, die der Darmflora schaden und erhebliche Nebenwirkungen haben können. Probiotika, begleitend zur Therapie eingenommen, können die Nebenwirkungen reduzieren. Falls Nebenwirkungen (z. B. Diarrhoe) auftreten, ist die Einnahme von Probiotika auf jeden Fall empfohlen.

Mag. Frauwallner: 2010 hatten Sie die einmalige Gelegenheit, beim „Ötzi“ eine Magenspiegelung durchzuführen. Was können Sie uns über den Eiszeitmenschen erzählen?

Prof. Malfertheiner: Wir haben es beim „Ötzi“ mit der ältesten Mumie zu tun, die auf natürliche Art dauerhaft konserviert wurde: Der Eismann ist 5.300 Jahre alt – und damit deutlich älter als z. B. die Cheops-Pyramide. Ötzi war für seine Zeit mit 1,60 m und ca. 50 kg durchschnittlich gebaut, hat gejagt, aber auch bereits frühe Landwirtschaft betrieben. Er litt an Osteoartritis, Arteriosklerose und war außerdem von Parasiten (Helminten) befallen. Außerdem nimmt man aufgrund einer Pollen-Analyse an, dass er im Frühling gestorben sein muss.

Bei unseren Untersuchungen 2010 wollten wir die Mumie äußerlich natürlich so wenig wie möglich verändern, deswegen haben wir mit dem Gastroskop gearbeitet. Allerdings war es nicht – wie üblich –  möglich, den Verdauungstrakt durch das Intubieren der Speiseröhre zu erreichen … Sie müssen sich vorstellen: Die Mumie ist vollkommen trocken, ganz ledrig und steif; durch den Wasserverlust wiegt sie auch nur mehr ca. 15 kg. Die Speiseröhre war wie eine Schnur zusammengeschrumpft und für das Gastroskop unpassierbar. Deshalb mussten wir doch einen kleinen Schnitt am Bauch setzen, um Proben aus dem Magen-Darm-Trakt entnehmen zu können. Außerdem konnten wir den Mageninhalt entnehmen, und dieser wurde weiter analysiert: Ötzi war ein wahrer Gourmet, er hatte den Magen voll mit verschiedenen Fleischsorten und Getreide.

Mag. Frauwallner: Da die Mumie über so viele Jahre konserviert war, konnte man natürlich nicht mehr bestimmen, wie die exakte bakterielle Zusammensetzung von „Ötzis“ Verdauungstrakt war. Konnten Sie aber zumindest teilweise Erkenntnisse gewinnen?

Prof. Malfertheiner: In der Tat gibt es an der Mumie keine Schleimhaut mehr, die man analysieren kann, deswegen war es äußerst unwahrscheinlich, etwas zu finden. Die Forschergruppe hat dann aber die vollständige DNA des Mageninhalts analysiert, und so wurden wir fündig: Mit einer speziellen Methode konnte man aus der Gesamt-DNA einzelne Sequenzen herausfiltern und so tatsächlich ein 5.300 Jahre altes Helicobacter-pylori-Genom rekonstruieren. Für mich war das natürlich eine besondere Freude, den Keim, der mich während meiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn begleitet hat, in der ältesten Mumie der Welt zu finden.

Mag. Frauwallner: Sie haben maßgeblich an der Publikation über den „Ötzi“ und dessen 5.300 Jahre altes Helicobacter-pylori-Genom mitgewirkt. Was hat Ihnen das Genom des „Ötzi“-Keims verraten?

Prof. Malfertheiner: Die Publikation hat viel Aufsehen erregt, und zwar aus mehreren Gründen: Der Eismann hatte nicht nur Helicobacter pylori in sich, sondern auch schon damals einen virulenten, krankheitserregenden Stamm davon. Und – wie wir heute auch – hat Ötzi darauf mit einer Entzündung reagiert, auch das konnte nachgewiesen werden. Wie auch in der heutigen Diagnostik wurde das Calprotectin gemessen, ein Protein, das Entzündungen anzeigt. Wenn jemand eine entzündliche Reaktion im Verdauungstrakt hat, dann lässt sich ein erhöhtes Calprotectin nachweisen – je stärker die Entzündung, desto mehr. Beim „Ötzi“ lag das Calprotectin in großer Menge vor, sodass man sagen kann: Er war nicht nur mit einem pathogenen Stamm von Helicobacter pylori infiziert, sondern es hat sich daraus auch bereits eine starke Entzündung ergeben.

Und noch ein spannendes Thema konnten wir beleuchten, nämlich, woher Ötzi kam: Das Genom des Helicobacter pylori ähnelt stark dem von jenen Stämmen, die heute in Mittel- und Südostasien vorkommen und nicht jenem der heutigen europäischen Variante. Ursprünglich hat sich Helicobacter pylori von Afrika aus verbreitet, und man nimmt an, dass sich die afrikanische und asiatische Form des Keims zum heutigen europäischen Stamm vermischt haben. Diese Vermischung dürfte aber vermutlich erst nach Ötzis Zeit stattgefunden haben, was zeigt, dass die Besiedlungsgeschichte Europas viel komplexer ist als angenommen.

Mag. Frauwallner: Herr Prof. Malfertheiner, vielen herzlichen Dank für diese spannenden Einblicke in das Mikrobiom des „Ötzi“!

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