Wenn der Darm leidet

Mittlerweile liegen ausgezeichnete Untersuchungen vor, die zeigen, dass Infektionserkrankungen dank Antibiotikagaben in den vergangenen 20 Jahren zurückgegangen sind. Jedoch ist im gleichen Ausmaß die Zahl chronischer Entzündungen (wie von Asthma, Typ1-Diabetes, Morbus Crohn oder Multiple Sklerose) angestiegen. Die Infektionsmedizin zeigt jedoch auch, dass die übersteigerte und falsche Einnahme von Antibiotika zu großen Problemen geführt hat. In vielen Krankenhäusern kommt es zu Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen wie etwa dem Durchfall-Erreger „Clostridium difficile“. Der Grund: Antibiotika zerstören nicht nur die „bösen“ Keime, sondern auch gute Bakterien, bewirken sozusagen einen Kollateralschaden. Gleichzeitig entwickeln sich bei vielen Patienten im Zuge der Antibiotikagabe auch Resistenzgene, die das Darmmikrobiom nachhaltig stören und den Menschen vermutlich anfälliger für Autoimmunreaktionen machen. Vor der Entwicklung von Antibiotika traten diese Erkrankungen nicht im heutigen Ausmaß auf. Das lässt den Schluss zu, dass die neu entdeckten Medikamente das Mikrobiom massiv verändert haben. Viele Menschen leiden heute an Immundefiziten oder autoimmunologischen Erkrankungen, die schwer zu behandeln sind. Deshalb sind immer mehr Mediziner bereits davon überzeugt, dass gerade chronische Erkrankungen mithilfe einer gesunden Darmflora bekämpft werden können.

 

„Darm an Hirn“

Zwischen Darm und Gehirn besteht ein reger Informationsfluss. Veränderungen des Mikrobioms können daher auch Änderungen der Gehirnfunktion und des Verhaltens mit sich bringen. Studien zeigen, dass bei einigen psychiatrischen Erkrankungen ein Ungleichgewicht von Darmkeimen besteht. Bei neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Reizdarm, Bauchschmerz, Angsterkrankungen, Depression, Ängstlichkeit, Stressempfindlichkeit, chronischer Erschöpfung sowie Autismus liegen bereits klinische Daten vor, die einen Zusammenhang zwischen diesen Erkrankungen und dem Zustand der Bakterienflora im Darm bestätigen. Erklärbar ist dies durch ein kompliziertes Zusammenspiel des Darmmikrobioms mit sensiblen Botenstoffen im Gehirn, die Informationen übertragen. Wissenschaftler haben festgestellt, dass wichtige Hormone mit Hilfe unserer Darmbewohner produziert werden, wie etwa das Glückshormon Serotonin. Diese Botenstoffe können Verhaltensänderungen hervorrufen und Emotionen steuern – der Kommunikationsweg beginnt bereits im Darm, dort wo Hormone mit Nerven zusammenarbeiten.

 

Gute Darmbewohner brauchen beste Nahrung

Unsere Ernährung hat einen wesentlichen Einfluss auf unser Darmmikrobiom. So etwa kommen bei Übergewichtigen andere Bakterienarten häufiger vor als bei dünnen Menschen. Auch für das Hunger- und Sättigungsgefühl ist das Zusammenspiel einiger Bakterienarten verantwortlich. Das Darmmikrobiom reguliert nicht nur unsere Verdauung, sondern hilft auch dabei, unsere Nahrung so aufzuspalten, dass unserem Körper Vitamine und Spurenelemente zur Verfügung gestellt werden können. Dies ist ganz entscheidend für die Erhaltung unserer Gesundheit. Denn was nützt es, gesunde Nahrung oder auch Vitalstoffe zu schlucken, wenn wir sie dann unverdaut wieder ausscheiden? Doch nicht nur wir wollen gut ernährt werden, auch unsere Darmbewohner brauchen das richtige „Futter“. Für sie sind präbiotische Nahrungsmittel wichtig, also Ballaststoffe, welche die Aktivität der Bakterien fördern. Präbiotika sind beispielsweise in Chicorée, Topinambur, Schwarzwurzeln oder Artischocken reichlich enthalten und natürlich auch in der Apotheke erhältlich. Wenn unsere Bakterienflora allerdings durch häufige Medikamentengaben, Stress oder falsche Ernährung geschädigt ist, so müssen wir die wichtigsten Leitkeimstämme für den Darm von außen zuführen. Und zwar nicht nur einen, sondern unterschiedliche. Wichtig dabei ist es, speziell jene Keime aufzunehmen, die tatsächlich bis in den Dünn- und Dickdarm vordringen können und nicht bereits durch die Magensäure zerstört werden. Die Forschung hat in den letzten 20 Jahren sehr viel über das Darmmikrobiom und seine Auswirkungen auf unsere Gesundheit herausgefunden. Erst das Verständnis des Zusammenspiels unserer Darmbakterien macht eine umfassende Vorsorge und Therapie möglich. Doch diese wissenschaftliche Disziplin ist noch jung und es gibt noch vieles zu entdecken, zu entschlüsseln. So etwa hängt die Besiedelung unseres Darms zwar von Ernährung, Lebensumständen und Medikamenteneinnahme ab, doch auch die geographische Herkunft eines Menschen hat Einfluss auf das Leben im Darm. Demnach haben Afrikaner oder Asiaten ein anderes Mikrobiom als Mitteleuropäer. Das Mikrobiom ist ein Riesenkosmos, in dem komplexe Abläufe stattfinden – ein spannendes Neuland, in dem die Medizin noch vieles erfahren darf, was uns allen zu mehr Gesundheit verhelfen kann. Fest steht: Der Darm, ein bisher oftmals vernachlässigtes Organ, hat enormes Potenzial, Körper, Geist und Seele zu dirigieren. Wie in einem exzellenten Orchester, das im perfekten Zusammenspiel Harmonie und Einklang hervorbringt.

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